VW ABGASSKANDAL

Motor EA 189

Begonnen hat der Abgasskandal in Deutschland mit dem Bekanntwerden der Abgasmanipulationen durch die Volkswagen AG rund um den Dieselmotor EA 189. Bei den betroffenen Fahrzeugen ist die Motorsteuerung bewusst so programmiert, dass der Wagen erkennt, ob er sich im realen Fahrbetrieb („Modus 0“) oder auf einem technischen Prüfstand („Modus 1“) befindet und je nach Fahrsituation in unterschiedliche Abgasreinigungsmodi wechseln kann. Befindet sich das Fahrzeug bei der Messung der Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand, schaltet es in den „Modus 1“, in dem eine höhere Abgasrückführungsrate erzielt wird und folglich weniger Stickoxide abgegeben werden, als im „Echtbetrieb“, bei welchem die Abgasrückführungsrate geringer ist.

Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung

Der Bundesgerichtshof bewertete diese Abgasmanipulationen der Volkswagen AG als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB und verurteilte die Volkswagen AG mit seinem Grundsatzurteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) zu Schadensersatz. Es stehe wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.

Europäischer Gerichtshof: Abschalteinrichtungen sind illegal

Im Dezember 2020 urteilte der Europäische Gerichtshof (Rechtssache C-693/18) zum Abgasskandal. Der Europäische Gerichtshof konstatierte, dass ein Automobilhersteller keine Abschalteinrichtung installieren darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen. Der Einbau derartiger Abschalteinrichtungen könne auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die Einrichtung angeblich dazu beitrage, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern.

Motor EA 288

Seit geraumer Zeit steht auch die Frage im Raum, ob auch der Nachfolgemotor des Skandalmotors EA 189, also der Motor EA 288, vom Abgasskandal betroffen ist. Insbesondere die „Tagesschau“ und der „SWR“ hatten unter Bezugnahme auf interne VW-Dokumente mehrfach berichtet, dass auch Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 288 von illegalen Abschalteinrichtungen betroffen seien.

Immer mehr Gerichte verurteilen VW zu Schadensersatz

Immer mehr Gerichte verurteilen nun die Volkswagen AG bezüglich des Motors EA 288 wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB. Die Kläger können dann von der Volkswagen AG die Rückerstattung des Kaufpreises unter Abzug eines Nutzungsersatzes für gefahrene Kilometer verlangen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des betroffenen Fahrzeuges.

Das Landgericht Oldenburg etwa hat die Volkswagen AG mit Urteil vom 06.10.2020 (Az. 1 O 939/20) zum Schadensersatz verurteilt. In seinem Urteil konstatierte das Landgericht Oldenburg, dass der Kläger zum Vorliegen mehrerer unzulässiger und manipulierender Abschalteinrichtungen mit der Klageschrift konkret vorgetragen habe. Die Volkswagen AG habe in ihrer Klageerwiderung das Vorliegen einer sogenannten Zykluserkennung eingeräumt, diese aber als zulässig angesehen.

Zykluserkennung

Eine Zykluserkennung stellt einen Vorgang dar, bei dem das jeweilige Fahrzeug erkennt, ob es einen bestimmten Fahrzyklus auf einem Rollenprüfstand abfährt und eine Abschalteinrichtung aktiviert. Die Optimierung auf einen Prüfzyklus bewirkt schließlich im realen Fahrbetrieb einen weitaus höheren Schadstoffausstoß als im Testzyklus.

Das Landgericht Oldenburg erklärte in dem genannten Urteil, dass der Kläger alles aus seiner Sicht Mögliche getan habe, um schlüssig und detailliert zu dem Vorliegen der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung vorzutragen. In einer derartigen Konstellation treffe dann die Volkswagen AG als Herstellerin des Motors eine sekundäre Darlegungsobliegenheit. Die Volkswagen AG müsse dazu vortragen, wozu die Zykluserkennung diene und wie die Diskrepanz zwischen den Messergebnissen auf dem Prüfstand und den Messergebnissen bei normalem Betrieb auf der Straße zustande kommen konnte. Ein solcher Vortrag der Volkswagen AG ist allerdings nicht erfolgt, sodass das Landgericht Oldenburg die Volkswagen AG verurteilte.

Das Urteil des Landgerichts Oldenburg reiht sich in eine Vielzahl von landgerichtlichen Urteilen gegen die Volkswagen AG ein. Immer mehr Gerichte verurteilen die Volkswagen AG auch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Bezug auf den Motor EA 288.

Erstes Urteil eines Oberlandesgerichts

Im April 2021 wurde Volkswagen nun erstmals von einem Oberlandesgericht wegen Abgasmanipulationen am Nachfolgemotor EA 288 verurteilt.

Das OLG Naumburg hat Volkswagen mit Urteil vom 09.04.2021 (8 U 68/20) wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zum Schadensersatz verurteilt. Geklagt hatte der Käufer eines VW Golf 2.0 TDI. Er hatte das Fahrzeug für 21.750,00 € gekauft. Volkswagen muss das Fahrzeug nun zurücknehmen und Schadensersatz in Höhe von 20.885,71 € zahlen. Die Revision zum Bundesgerichtshof ließ das OLG Naumburg nicht zu. 

Das Gericht stellte fest, dass Volkswagen die Erwerber von Fahrzeugen getäuscht habe. Mit dem Inverkehrbringen des Motors EA 288 habe Volkswagen erklärt, dass die Fahrzeuge über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügen würden. Diese Erklärung sei aber unzutreffend, weil die im Fahrzeug befindliche Software unzulässige Abschalteinrichtungen beinhalte, die den Betrieb des Fahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr gefährde. 

Unzulässige Abschalteinrichtung

Mit dem Urteil wurde bestätigt, was Klägeranwälte bereits seit Jahren gegenüber den Gerichten darlegen. Der Motor verfügt über eine sogenannte Zykluserkennung. Die Motorsteuerung sieht verschiedene Betriebsmodi des Emissionskontrollsystems für den Prüfzyklus und für den normalen Fahrbetrieb vor, wobei im Prüfzyklus der Ausstoß an Stickoxiden verringert wird.

Das OLG Naumburg ordnete die im Fahrzeug installierte Motorsteuerungssoftware als unzulässige Abschalteinrichtung ein, da diese das Emissionskontrollsystems zum Zweck der Verbesserung der Abgaswerte auf dem Prüfstand beeinflusst. Durch die Verwendung der Fahrkurvenerkennung im VW Motor EA 288 wurden die Erwerber nach zutreffender Auffassung des Gerichts genau so getäuscht wie durch die Verwendung der Kippschalterlogik mit Prüfstanderkennung im Vorgängermotor EA 189. 

Interne VW-Papiere belegen Abgasmanipulation

Nachdem der Kläger mit seiner Klage in erster Instanz vor dem Landgericht Halle noch gescheitert war, gab ihm das OLG Naumburg nunmehr Recht. Besonders pikant ist die Verurteilung auch deshalb, weil das OLG Naumburg Volkswagen insbesondere auf Grundlage von internen VW-Unterlagen verurteilte, die den Vorwurf der Abgasmanipulation bestätigten. Volkswagen musste diese Unterlagen im Prozess vorlegen. Aus den Unterlagen ergab sich, dass eine Prüfstanderkennung in Gestalt einer Fahrkurvenerkennung die Funktion eines zentralen Bestandteils des Emissionskontrollsystems, nämlich des Katalysators beeinflusst.

Massive Kritik am Kraftfahrtbundesamt

Erfolglos hatte Volkswagen eingewandt, das Kraftfahrtbundesamt habe für das Fahrzeug bislang keinen Rückruf angeordnet. Das OLG Naumburg übte insoweit auch erhebliche Kritik am Kraftfahrtbundesamt. Nach Aufdeckung der Manipulationssoftware beim Vorgängermotor EA 189 habe sich Volkswagen darauf beschränkt, dem Kraftfahrtbundesamt ab Oktober 2015 offenzulegen, dass auch beim Nachfolgemodell EA 288 eine Abschalteinrichtung verbaut wurde, wovon die Öffentlichkeit jedoch nichts erfuhr. Das Kraftfahrtbundesamt habe sich dann, so das OLG Naumburg wörtlich, der von der Volkswagen AG „vertretenen und jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrenden Rechtsauffassung angeschlossen“. Damit bestätigt das Gericht zutreffend und in erfreulicher Klarheit, dass das Kraftfahrtbundesamt hätte tätig werden müssen und zu Unrecht der fehlerhaften Rechtsauffassung von Volkswagen gefolgt ist.

Noch keine Verjährung

Für die betroffenen Verbraucher bedeutet diese Entscheidung des OLG Naumburg einen Durchbruch in der juristischen Aufarbeitung des Abgasskandals bezüglich des Motors EA 288. Betroffene Käufer können unverändert Klage gegen Volkswagen erheben. Eine Verjährung der Ansprüche ist für Ansprüche bezüglich des Motors EA 288 in aller Regel noch nicht eingetreten.

Da der Motor EA 288 in diversen Dieselfahrzeugen der Volkswagen AG, der Audi AG sowie der Hersteller Seat und Skoda verbaut ist, ist betroffenen Fahrzeughaltern dazu zu raten, Schadensersatzansprüche anwaltlich überprüfen zu lassen.