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Der Pflichtteilsergänzungsanspruch

Der Pflichtteils-
ergänzungsanspruch

Das Grundrecht auf Eigentum (Artikel 14 Grundgesetz) beeinflusst ganz maßgeblich das Erbrecht. Ausfluss des Rechts auf Eigentum ist die so genannte Testierfreiheit. Danach ist jede Person frei, durch eine Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) seine Erben zu bestimmen. Dieses Recht kann dem Testierenden auch nicht genommen werden. Er ist in seiner Entscheidung vollständig frei.

Pflichtteilsanspruch als wirtschaftliche Mindestbeteiligung am Nachlass

Allerdings gewährt das Gesetz bestimmten Angehörigen einen besonderen rechtlichen Schutz. Werden diese Angehörigen von dem Testierenden enterbt, entsteht für sie mit dem Tod des Erblassers ein Pflichtteilsanspruch. Dieser Pflichtteilsanspruch ändert zwar nichts an der Enterbung des Angehörigen, er gibt dem pflichtteilsberechtigten Angehörigen allerdings einen Anspruch auf wirtschaftliche Teilhabe am Nachlass. Damit soll eine grundsätzlich unentziehbare wirtschaftliche Mindestbeteiligung bestimmter Angehöriger am Nachlass erreicht werden.

Pflichtteilsberechtigter Personenkreis

Pflichtteilsberechtigt sind Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel etc.), Eltern und Ehegatten des verstorbenen Erblassers. Entferntere Abkömmlinge (Enkel, Urenkel etc.) und Eltern sind allerdings insoweit nicht pflichtteilsberechtigt, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würden, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Hierdurch soll eine Vervielfältigung der Pflichtteilslast vermieden werden.

Höhe des Pflichtteilsanspruchs

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Zur Berechnung des Pflichtteils ist also zunächst einmal erforderlich, die gesetzliche Erbfolge zu überprüfen. Hierzu ein Beispiel: Die verwitwete Mutter M hat zwei Söhne S1 und S2. Sie setzt in ihrem Testament nun ausschließlich S1 zum Erben ein. Damit wird S2 enterbt.

Hätte die M kein Testament errichtet, wären die beiden Söhne nach gesetzlicher Erbfolge Erben zu je ½ geworden. Diese potentielle hälftige Erbenstellung wäre der gesetzliche Erbteil des S2 gewesen. Nachdem er nun enterbt wurde, erhält er nach dem Tod seiner Mutter keinerlei Erbenstellung. „Geschützt“ wird S2 aber dadurch, dass er nun zumindest einen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils hat. Der Pflichtteilsanspruch besteht damit vorliegend in Höhe von ¼ des Nachlasswertes. Diesen Anspruch müsste S2 nunmehr gegenüber dem Erben, seinem Bruder S1, geltend machen.

Beeinträchtigungen des Pflichtteilsanspruchs durch lebzeitige Schenkungen

Legt man im obigen Beispiel einen Nachlass der Mutter M in Höhe von 100.000,00 € zugrunde, würde S2 von S1 einen Betrag in Höhe von 25.000,00 € verlangen können. Der Pflichtteilsanspruch sichert dem S2 mithin immer noch eine erhebliche Beteiligung am Nachlass. Diese Rechtsposition kann dem Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2333 BGB nur unter sehr engen Voraussetzungen entzogen werden. Ein gesetzlicher Entziehungsgrund liegt beispielsweise vor, wenn der S2 der M oder dem S1 nach dem Leben getrachtet hätte. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass eine Pflichtteilsentziehung lediglich in schwerwiegenden Ausnahmefällen möglich ist.

Vor diesem Hintergrund wird daher nicht selten in Erwägung gezogen, noch zu Lebzeiten Vermögensübertragungen vorzunehmen, um den Pflichtteilsanspruch eines unliebsamen Angehörigen zu schmälern. Hätte die M im obigen Beispiel schon zu Lebzeiten 20.0000 € an S1 verschenkt, hätte der Nachlasswert nicht mehr 100.000,00 €, sondern 80.000,00 € betragen. Damit würde der Pflichtteilsanspruch des S2 nicht mehr 25.000,00 €, sondern nunmehr noch 20.000,00 € betragen.

Pflichtteilsergänzungsanspruch schützt vor Schmälerungen des Pflichtteilsanspruchs

Wird aber der Pflichtteilsanspruch dadurch geschmälert, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten sein Vermögen oder Teile seines Vermögens verschenkt, so entsteht für den Pflichtteilsberechtigten mit dem Tod des Erblassers ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 BGB. Dadurch will der Gesetzgeber Benachteiligungen von Pflichtteilsberechtigten durch erhebliche Vermögensübertragungen verhindern.

Welche Zuwendungen fallen unter den Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Grundsätzlich erfasst der Pflichtteilsergänzungsanspruch sämtliche Schenkungen des Erblassers. Ausgenommen von der Ergänzungspflicht sind allerdings Pflicht- und Anstandsschenkungen im Sinne von § 2330 BGB. Anstandsschenkungen sind meist kleinere Zuwendungen, die aus besonderem Anlass erfolgen, etwa Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke sowie Trinkgelder. Pflichtschenkungen beziehungsweise Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht entsprochen wird, können durchaus auch einen erheblichen Wert haben. Selbst die Zuwendung eines Grundstücks kann im Einzelfall aus Dankbarkeit für langjährige Pflege erfolgen und damit einer sittlichen Pflicht entsprechen.

Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Hat der Erblasser einem Dritten etwas geschenkt, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Es ist dann zunächst einmal der Nachlass ohne Berücksichtigung von Schenkungen zu ermitteln und daraus der Pflichtteil zu  berechnen. Bezogen auf das obige Beispiel hatte M zum Zeitpunkt des Todes nach Abzug der erfolgten Schenkung in Höhe von 20.000,00 € insgesamt 80.000,00 €  hinterlassen. Unter Berücksichtigung der Pflichtteilsquote des S2 von ¼ ergibt sich ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 20.000,00 €.

Rechnet man nun dem realen Nachlass von 80.000,00 € die Schenkung von 20.000,00 € hinzu, ergibt sich ein fiktiver Nachlass von 100.000,00 €, sodass der Pflichtteilsanspruchs des S2 dann 25.000,00 € betragen hätte. Die Differenz zwischen den errechneten 25.000,00 € und dem Pflichtteil in Höhe von 20.000,00 € stellt den Pflichtteilsergänzungsanspruch dar. Der Ergänzungspflichtteil beträgt damit 5.000,00 €.

Im Ergebnis erhält S2 damit zusätzlich zu dem Pflichtteil von 20.000,00 € einen Ergänzungspflichtteil in Höhe von 5.000,00 €. S2 wird damit letztlich so gestellt, als wenn die Schenkung nicht erfolgt wäre.

Zehnjahresfrist beachten

Das vorstehende Ergebnis darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit lebzeitigen Schenkungen gleichwohl oftmals erhebliche Schmälerungen des Pflichtteils erfolgen. Der Pflichtteil berechnet sich eben ausschließlich aus dem Nachlasswert, der zum Zeitpunkt des Todes vorhanden ist. Je mehr verschenkt wird, umso mehr verringert sich dieser Nachlasswert. 

Erfolgte Schenkungen finden beim Ergänzungspflichtteil je nach Zeitablauf abgestufte Berücksichtigung. Sind seit der Schenkung des Gegenstandes zehn Jahre verstrichen, bleibt die Schenkung vollständig unberücksichtigt. In diesem Fall beträgt der Ergänzungspflichtteil 0. Innerhalb des Zehnjahreszeitraums gilt das so genannte Abschmelzungsmodell, das heißt Schenkungen werden innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel des Wertes weniger berücksichtigt.  Würde im obigen Beispiel die Schenkung in Höhe von 20.000,00 € bereits fünf Jahre zurückliegen, würde lediglich noch der hälftige Betrag von 10.000,00 € berücksichtigt, sodass der Ergänzungspflichtteil lediglich 2.500,00 € betragen würde. Daran wird deutlich, dass lebzeitige Schenkungen trotz des Ergänzungspflichtteils erheblich die Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten schmälern oder sogar aushöhlen können. Diese Konsequenz ist allerdings hinzunehmen, da der Erblasser – wiederum geschützt durch die Eigentumsfreiheit aus Artikel 14 Grundgesetz – frei darin ist, sein Vermögen zu Lebzeiten zu verschenken ebenso wie er frei ist, seine Erben zu bestimmen.

Bei Immobilien, die „vorab“ verschenkt werden, ist im Einzelfall sehr genau zu prüfen, ob die genannte Zehnjahrefrist zu laufen begonnen hat oder nicht. Selbst bei Schenkungen von Immobilien, die vor mehr als 10 Jahren erfolgten, kann noch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bestehen, insbesondere dann, wenn die Immobilie mit einem lebenslangen Nießbrauchsvorbehalt oder Wohnungsrechtsvorbehalt übertragen wurde.