Die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) war von Beginn an fehlerbehaftet. Erst mit den Jahren und anhand der Praxis hat sich daraus eine brauchbare und in der Sache auch gute Norm entwickelt.
Eine wesentliche Ausnahme ist allerdings die unglückliche Bestimmung des Begriffs des „Alkoholmissbrauchs“ in der Anlage 4 Nr. 8.1. der FeV. Die Definition dort lautet: „Missbrauch = Das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum kann nicht hinreichend sicher getrennt werden.“ Die Konsequenz: Wer nach dieser Definition „Alkoholmissbrauch“ betreibt, ist ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen. Diese Ungeeignetheit kann er ausschließlich durch eine MPU widerlegen.
Danach würde schon eine BAK von 0,3 Promille bei gleichzeitigem Vorliegen von alkoholtypischen Ausfallerscheinungen die Annahme rechtfertigen, dass „ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum“ und kein ausreichendes Trennungsvermögen vorgelegen hat, sodass ein so Betroffener zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine positive MPU vorlegen müsste. Es würde jede richterliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen alkoholisierten Fahrens zugleich die Annahme praktizierten „Alkoholmissbrauchs“ zur Folge haben, also theoretisch schon nach dem Konsum eines großen Glases Bier (bei festgestellten alkoholtypischen Ausfallerscheinungen). So sieht es in der Tat und allen Ernstes ein Teil der Rechtsprechung in Deutschland.
Dem steht jedoch der klare Wortlaut des § 13 Satz 1, Nr. 2. C FeV gegenüber, wonach ein MPU-Gutachten nur dann beizubringen ist, wenn der Betroffene „ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer BAK von 1,6 Promille oder einer AAK von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat.“
Die Fahrerlaubnisverordnung ist in dieser Frage also in sich selbst widersprüchlich und unklar geregelt. Die (untergeordnete) Anlage zu der Verordnung ordnet de facto die MPU unter anderen Voraussetzungen an, als die (übergeordnete) Verordnung selbst! Seitdem dieser Umstand problematisiert wurde, ist die Republik geteilt: Ein Teil der Bundesländer ordnet die MPU bei jeder nach §§ 316 oder 315 c StGB abgeurteilten Alkoholfahrt an, ein anderer Teil nur bei Werten ab 1,1 Promille, wieder andere unverändert erst nach 1,6 Promille. Das hat zu erheblicher Rechtsunsicherheit und zu ganz und gar unerträglichen Ungleichbehandlungen innerhalb der Bundesrepublik geführt, zudem zu massiven Vorbereitungs- und Beratungsschwierigkeiten in der Praxis.
Das führte ferner zu dem bekannten und unseligen „innerdeutschen Führerscheintourismus“, bei dem Betroffene aus den ersten beiden Gruppen von Bundesländern ausschließlich und auch nur für die Verfahrensdauer zum Zwecke der Wiederteilung der Fahrerlaubnis in eines der zuletzt genannten Bundesländer umzieht bzw. sich scheinummeldet. Dabei mussten einige Betroffene schnell reagieren, wenn die vermeintlich gesicherte Rechtsprechung des VG durch eine andere des OVG plötzlich geändert wurde, so geschehen z.B. 2015 in München.
Auf dem 54. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar 2016 wurde dann die 1,1 Promillegrenze propagiert, erwartungsgemäß vornehmlich von MPU-Psychologen und deren Lobby. Die verstanden nun die „Ungeeignetheit“ in einer Interpretation der oben zitierten Ziffer 8.2 der Anlage 4 zur FeV so, dass Eignungszweifel nur dann gegeben seien, wenn die Fahrerlaubnis wegen stattgefundener Fahrten über 1,1 Promille entzogen worden war. Diese Grenze gibt es aber in der gesamten FeV nicht. Sie zitierten ein paar Studien und erklärten, das sei nun der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand.
Die Rechtsprechung des BGH, wonach absolute Fahruntüchtigkeit bei diesem Grenzwert gegeben ist, kann hierbei nicht herangezogen werden, weil dann ja „absolute Fahruntüchtigkeit“ stets mit „Alkoholmissbrauch“ gleichzusetzen wäre. Das würde bedeuten, dass nahezu jede Alkoholfahrt ein therapiebedürftiges Alkoholproblem im Sinn der Definition in der Anlage 4 offenbart, das die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auf Dauer – bis zum durch eine MPU erbrachten Gegenbeweis – ausschließt. Das jedoch steht im unauflösbarem Widerspruch zu der klaren Grenze, die § 13 FeV zieht. Die dort genannten 1,6 Promille lassen jedenfalls nicht den Schluss zu, dass der Gesetzgeber diese Grenze in der Anlage zu dieser Norm aufweichen oder infrage stellen wollte.
Hinzu kommt, dass der Begriff des Missbrauchs umgangssprachlich vollkommen anders verstanden wird. Nach Wikipedia wird unter Missbrauch ausschließlich „ein den anerkannten Regeln oder Rechtsnormen widersprechender Gebrauch von Gegenständen“ verstanden. In der Medizin wird der Begriff im Zusammenhang von Sucht oder Abhängigkeit im Sinne von „unerlaubtem, gefährlichem, dysfunktionalem und schädlichem Gebrauch“ verwendet. Kein Mensch würde ernstlich den Begriff des „Alkoholmissbrauchs“ mit der Fähigkeit definieren, zwischen Alkoholkonsum und dem Führen von Fahrzeugen nicht sicher trennen zu können.
Wir brauchen also unbedingt und schnell eine bundeseinheitliche Rechtssicherheit, damit die unerträgliche Ungleichbehandlung innerhalb der Bunderepublik umgehend beendet wird. In der anwaltlichen Praxis ist absolute Beratungssicherheit gefordert, da sich die örtliche Rechtsprechung ja geradezu täglich ändern kann und sich der zunächst zutreffend Beratene plötzlich der Notwendigkeit einer MPU ausgesetzt sieht, auf die er sich in der Kürze der Zeit weder mit einer verkehrspsychologischen Schulung noch im Hinblick auf die nach den Beurteilungskriterien geforderten Abstinenznachweisen vorbereiten kann.
Somit ist der Gesetzgeber aufgefordert, die verheerend widersprüchlichen Tatbestände innerhalb der FeV durch eine einheitliche, Rechtsklarheit verschaffende Definition zu ersetzen. Ob die Grenze dann weiterhin bei 1,6 Promille anzusetzen ist oder darunter, vielleicht auch bei 1,1 Promille, ist ausschließlich durch objektive, unabhängige und von jeglicher Lobby unbeeinflusste wissenschaftliche Studien zu ermitteln.
Rechtsanwalt Frank-Roland Hillmann, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Oldenburg