Wann lösen Schenkungen Ansprüche aus?
Eigentumsfreiheit des Erblassers
Das grundgesetzlich garantierte Recht auf Eigentumsfreiheit beinhaltet auch die Freiheit, beliebige Personen beschenken zu dürfen. Jeder Mensch soll frei darin sein, mit seinem Eigentum bzw. Geld frei verfahren zu dürfen. Allerdings können Schenkungen nach dem Tod des Schenkers auch erbrechtliche Ansprüche von Pflichtteilsberechtigten begründen.
Beispielsfall: Schenkung an Tochter
Hierzu ein kurzes Beispiel: Eine geschiedene Frau hat zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Die Frau hinterlässt ein Testament, mit dem sie die Tochter zur alleinigen Erbin einsetzt. Der Nachlass der Erblasserin besteht aus einem Vermögen von 100.000,00 €. Kurz vor dem Tod hatte die Erblasserin ihrer Tochter bereits einen Betrag in Höhe von 50.000,00 € geschenkt.
Der Sohn zählt als Kind der Erblasserin zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten. Er hätte bei gesetzlicher Erbfolge, also wenn die Erblasserin kein Testament hinterlassen hätte, 50 % des Nachlasses geerbt. Da die Tochter als alleinige Erbin eingesetzt wurde, geht der Sohn leer aus. Allerdings hat der Sohn gegenüber der Tochter einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 25 % des bereinigten Nachlasswertes (Nachlass abzüglich etwaiger Verbindlichkeiten). Beträgt der bereinigte Nachlasswert, wie im obigen Beispiel, 100.000,00 €, erhält der Sohn einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 25.000,00 €, weil seine Pflichtteilsquote 25 % (Hälfte des potenziellen gesetzlichen Erbteils) beträgt.
Schenkungen werden dem Nachlasswert fiktiv hinzugerechnet
Der Sohn will sich mit dem Betrag in Höhe von 25.000,00 € aber nicht zufriedengeben. Er verweist zu Recht darauf, dass der Nachlass, sofern die Schenkung in Höhe von 50.000,00 € kurz vor dem Tod nicht erfolgt wäre, 150.000,00 € betragen hätte. Bei einer Pflichtteilsquote von 25 % hätte er dann nicht nur 25.000,00 €, sondern einen Betrag in Höhe von 37.500,00 € erhalten. Für den Sohn geht es im vorliegenden Beispielsfall also um einen Mehrbetrag in Höhe von 12.500,00 €. Daran wird ersichtlich, dass Schenkungen, die selbstverständlich zu Lebzeiten des Erblassers erlaubt sind, im Erbfall schnell erhebliche Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten begründen können. Diesen Anspruch bezeichnet man als Pflichtteilsergänzungsanspruch. Die Schenkung wird dem tatsächlich vorhandenen Nachlasswert also im Ergebnis fiktiv hinzugerechnet.
Welche Schenkungen führen zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch?
Grundsätzlich erfasst der Pflichtteilsergänzungsanspruch sämtliche Schenkungen des Erblassers. Ausgenommen von der Ergänzungspflicht sind allerdings Pflicht- und Anstandsschenkungen im Sinne von § 2330 BGB. Anstandsschenkungen sind meist kleinere Zuwendungen, die aus besonderem Anlass erfolgen, etwa Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke sowie Trinkgelder. Pflichtschenkungen beziehungsweise Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht entsprochen wird, können durchaus auch einen erheblichen Wert haben. Selbst die Zuwendung eines Grundstücks kann im Einzelfall aus Dankbarkeit für langjährige Pflege erfolgen und damit einer sittlichen Pflicht entsprechen.
Zehnjahresfrist und Abschmelzung
Im oben genannten Beispiel erfolgte die Schenkung des Betrages in Höhe von 50.000,00 € kurz vor dem Tod. Diese Schenkung wird bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs damit voll dem fiktiven Nachlass zugerechnet, sodass sich bei einer Pflichtteilsquote von 25 % ein Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 12.500,00 € ergab. Desto weiter Schenkungen allerdings zurückliegen, können sich Pflichtteilsergänzungsansprüche erheblich reduzieren. Gemäß § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB werden Schenkungen innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils 10 % weniger berücksichtigt. Liegt die Schenkung mehr als zehn Jahre zurück, besteht grundsätzlich kein Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Ausnahmen von der Zehnjahresfrist bei Eheleuten und Immobilienschenkungen
Eine Ausnahme von der Zehnjahresfrist bilden Schenkungen an den Ehegatten. Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, beginnt die Zehnjahresfrist gemäß § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB nicht vor der Auflösung der Ehe. Findet keine Auflösung der Ehe statt, werden also Schenkungen an den Ehegatten bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs in vollem Umfang berücksichtigt.
Des Weiteren gibt es Fallkonstellationen von Immobilienübertragungen, bei denen die Zehnjahresfrist nicht zu laufen beginnt. Hat der Erblasser eine Immobilie an eines seiner Kinder übertragen, sich aber auf Lebenszeit ein lebenslanges Wohnungsrecht oder Nießbrauchsrecht vorbehalten, wird in aller Regel davon ausgegangen, dass die Schenkung letztlich erst mit dem Tod ihre volle Wirkung entfaltet, sodass dann die Zehnjahresfrist regelmäßig nicht greift. Hier ist allerdings in jeder einzelnen Fallkonstellation sehr genau zu prüfen, da es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der letzten Jahre auch Ausnahmen geben kann, insbesondere wenn der Erblasser sich nur an einem Teil des verschenkten Hauses die Nutzung vorbehalten hat. So hat der Bundesgerichtshof beispielsweise den Beginn der Zehnjahresfrist bejaht, wenn sich das Wohnungsrecht lediglich auf eine von drei Etagen eines Wohnhauses bezieht.
Letztlich muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob und in welcher Höhe eine Schenkung vorliegt und ob die Zehnjahresfrist zu laufen begonnen hat oder nicht. Dies sind oftmals komplexe rechtliche Fragestellungen, sodass empfohlen wird, bei der Prüfung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.