Es ist eine Situation, die viele Autofahrer fürchten. Plötzlich taucht ein Rettungsfahrzeug oder ein Streifenwagen mit Blaulicht und Sirene im Rückspiegel auf. Was ist jetzt zu tun? Und was, wenn ich eine rote Ampel überfahre oder anderweite Verkehrsverstöße begehe, um Platz zu machen? Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche Regeln für Polizei und Retter gelten, wenn sie im Straßenverkehr unterwegs sind – sowohl in Zivil als auch mit normalen Streifenwagen. Wir haben mit Stefan Herbers, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Oldenburg, darüber gesprochen. Fragen und Antworten:
Welche Verkehrsregeln gelten für Streifenwagen?
„Ein Streifenwagen ist im Straßenverkehr – so keine Sonderrechte in Anspruch genommen werden – wie jeder andere Verkehrsteilnehmer zu behandeln. Dies bedeutet, dass sich der Streifenwagen an alle Verkehrsregeln zu halten hat wie es auch jeder andere Verkehrsteilnehmer zu tun hat, etwa hinsichtlich Geschwindigkeit und Abstand“, erklärt Herbers. Aus seiner Kenntnis werde der Gebrauch von Blaulicht und Sirene nicht gespeichert. Komme es jedoch zum Unfall und Blaulicht sowie Sirene waren in Gebrauch, so müssten die Polizisten begründen, dass der Einsatz gerechtfertigt war, erklärt Herbers.
Wie sind die Sonderrechte geregelt?
Paragraph 35 Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt die Sonderrechte der Polizei, die in Anspruch genommen werden können, „wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist“, erklärt Herbers. Bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten wird die Polizei von den Pflichten der StVO befreit, sagt der Anwalt. „Der Sonderrechtsinhaber, also der Polizeiwagen, darf die Sonderrechte aber nur gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausüben.“ Paragraph 36 StVO regelt daneben die Nutzung von Blaulicht und Einsatzhorn. Diese dürfen nur genutzt werden, „wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist und Menschenleben zu retten sind oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden sind – also im Notfall“, so Herbers weiter. „Der Sonderrechtsinhaber, also der Polizeiwagen, darf die Sonderrechte auch nur unter Anwendung größtmöglicher Sorgfalt in Anspruch nehmen.“
Welche Voraussetzungen gelten für Sonderrechte?
Für die Inanspruchnahme der Sonderrechte sei das Einschalten von Blaulicht und/oder Einsatzhorn nicht zwingend notwendig, erklärt Herbers. Dies dürfe von der Polizei „situationsabhängig abgewogen werden“. Kurz vor Erreichen des Einsatzortes dürfe etwa unter taktischen Gesichtspunkten das Blaulicht und/oder Einsatzhorn ausgeschaltet werden. Bleiben Blaulicht und/oder Sirene jedoch aus, so müsse steige die Sorgfaltspflicht der Polizeibeamten, sagt Herbers.
Wie sieht die Lage bei zivilen Videomessfahrzeugen aus?
Wird durch Hinterherfahren eine Geschwindigkeits- oder Abstandsmessung vorgenommen, „darf das zivile Messfahrzeug die vor Ort zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, erklärt Herbers. Denn sonst sei keine Messung möglich. Hierbei dürfe es zu geringen Abstandsunterschreitungen kommen, allerdings darf das Videomessfahrzeug sich nicht so verhalten, dass das gemessene Farzeug davor noch zu einer weiteren Beschleunigung animiert wird, sagt Herbers.
Welche Anhaltesignale sind zulässig?
Zum Anhalten sollen grundsätzlich Anhaltesignale – sowohl optisch als auch akustisch – genutzt werden, erklärt Herbers. Auch ein Zivilfahrzeug ohne „Anhaltesignale“ nehme Sonderrechte in Anspruch, indem es am gemessenen Fahrzeug „dran bleibt und hierbei partiell die Straßenverkehrsordnung überschreitet“, sagt der Anwalt. Eine Kelle als Anhaltesignal sei ausreichend.
Worauf sollten Personen, die angehalten werden, achten?
Selbst wenn man sich nicht sicher ist, ob es sich wirklich um ein (ziviles) Polizeifahrzeug handelt, sei es laut Herbers grundsätzlich am besten, anzuhalten. Man sollte sich dann aber über die Seriosität der Polizeibeamten versichern, etwa durch Vorlage von Dienstausweisen.
Welche Dokumente dürfen bei einer Kontrolle verlangt werden?
Die Polizei darf sich bei einer Verkehrskontrolle sowohl den Personalausweis als auch den Fahrzeugschein und den Führerschein vorlegen lassen – dies ohne konkreten Anlass, sagt Herbers.
Worauf muss ich achten, wenn ein Fahrzeug mit Blaulicht hinter mir auftaucht?
Blaues Blinklicht in Zusammenhang mit dem Einsatzhorn bedeutet: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“, erklärt Herbes. Aber: „Nur beide Warnvorrichtungen zusammen schaffen das Vorrecht.“ Kommt es durch das Platz-Machen zu Verkehrsverstößen, etwa zum Überfahren einer roten Ampel, so könne dieser laut Herbers „grundsätzlich nicht geahndet werden“.
Den Artikel findet ihr auch in der Nordwest Zeitung in der Ausgabe vom 1. März 2023 unter: